Sonntag, 15. April 2012

Studieren mal anders

Das Erlebnis, welches mich schon während unserer Reise durch Israel und auch seit meiner Rückkehr nach Deutschland am meisten beeindruckt und beschäftigt hat, war der Tagesausflug nach Bethlehem.
Wir hatten bereits auf unserem Weg vom Norden Israels in Richtung Jerusalem palästinensisch besiedeltes Gebiet mit dem Bus durchreist und dabei bereits einen Eindruck von der meterhohen Mauer, den Grenzposten und vor allem dem hinter der Mauer befindlichen Gebiet und den Menschen darin - beispielsweise in Jericho - erhalten. Noch viel extremer jedoch erschien mir der Kontrast dann auf der Fahrt nach Bethlehem. Man fuhr ungefähr 10 km aus der Stadt Jerusalem hinaus, passierte eine - während unseres Aufenthalts ausnahmsweise - überwiegend grünende Landschaft, wo an den Hängen Wein angebaut wurde, und nach kurzer Zeit wurde der Bus langsamer. Man schaute seitlich aus dem Busfenster und sah diese gigantische Mauer vor sich aufragen. Das war dann wohl die Zufahrt nach Bethlehem. Als deutsche Reisegruppe konnten wir die Grenze recht zügig passieren und fanden uns sogleich mitten in Bethlehem wieder.
Unser erster Halt war die Bethlehem University, eine katholische Uni und zur Zeit ihrer Gründung 1973 die erste Hochschule im Westjordanland. An ihr können Jugendliche aller Glaubensrichtungen studieren. Wir hatten dort u.a. ein Gespräch mit 5 Studierenden - soweit ich mich erinnere, 3 Christen und 2 Muslime; 4 Mädchen, 1 Junge -, die ganz offen und ausführlich auf all unsere Fragen geantwortet haben. "Wie funktioniert das, wenn Katholiken und Muslime miteinander studieren? Wie macht ihr das mit dem Beten?" - Ganz einfach: Es gibt getrennte Gebetsräume für die Religionen und ansonsten macht man alles gemeinsam. "Und wo wohnt ihr?" - Die meisten leben in Bethlehem bei ihren Eltern, ein Student unserer Gruppe lebt in Jerusalem. Er muss jeden Tag 2x die Grenze passieren - das geht manchmal recht zügig, machmal dauert das aber auch recht lang je nach Gründlichkeit der israelischen Kontrolle. Einreisen ins Palästinensergebiet ist generell leichter als Ausreisen. Die Studierenden erzählten dann, dass nur einige überhaupt nach Jerusalem reisen dürfen. Je nachdem, ob man Israeli oder Palästinenser oder israelischer Palästinenser oder jemand ganz anderes ist, und je nachdem, welche Eintragungen man im Pass hat, darf man die Grenze passieren. Zwei der Mädchen berichteten, dass sie noch nie in Jerusalem waren, obwohl es quasi in Sichtweite liegt. "Gibt es dann andere Möglichkeiten, wie man ausreisen kann?" - Ja, beispielsweise über Jordanien oder einen anderen arabischen Staat. Eine Studentin aus der Gruppe war schon einmal für einige Zeit in Amerika.
Wir wurden im Anschluss an diese "theoretische" Einführung in die BU noch durch das schön gestaltete Campusgelände geführt, wo zumindest ich mich auf Anhieb sehr wohl gefühlt habe, und haben die Bibliothek und eine Ausstellung besucht.
Nach unserem Besuch an der BU haben wir uns in Kleingruppen in den Basar von Bethlehem gestürzt. Man merkte hier schnell, dass man sich in einer arabisch geprägten Stadt befand. Sehr positiv fiel mir auf, dass die Händler nicht so aufdringlich wie beispielsweise in Jerusalem waren. Wir schlängelten uns also unseren Weg durch allerlei Obst-, Backwaren-, Kleidungs- und Gebrauchswarenständen, die kunterbunt verteilt mit einem mehr oder weniger breitem Angebot auf der Straße herumstanden, vorbei am Fleischmarkt, wo jeder Metzger seine besten Stücke (und damit sind wirklich ganze Stücke aller möglichen Tiere gemeint) im Schaufenster präsentierte, in Richtung der Geburtstkirche. Während meine Freunde in diversen Souvenirläden verschwanden, zog ich es vor, mit dem Besitzer eines Geschäfts ein wenig ins Gespräch zu kommen. "Oh, you're from Munich? I've seen the movie a few days ago!" Ich kannte den Film nicht, aber wir hatten einen Gesprächseinstieg gefunden. Ich fragte ihn, wie die Geschäfte liefen. Er erzählte, dass es von Januar bis März immer sehr schwierig sei, weil wenige Touristen in dieser Zeit nach Bethlehem kämen. Und dass tendenziell eh weniger Touristen kämen, weil vielen Reiseorganisationen der Aufwand mit der Grenzkontrolle zu groß sei und sie Bethlehem samt Geburtstkirche deshalb ganz von ihrem Reiseplan strichen. Und er sagte, dass das Leben als kleiner Ladenbesitzer zum Teil sehr hart sei, weil die großen Geschäfte Verträge mit den Reiseorganisationen hätten und diese ihre Gruppen dann vornehmlich in die jeweiligen Läden führen würden. Nachdem meine Freunde ihren Einkauf beendet hatten, fragte ich meinen Gesprächspartner noch, ob er uns ein Restaurant fürs Mittagessen empfehlen könne. "Yes, of course, I'll bring you to the restaurant of my friend. Is it ok for you?" Wir willigten ein und hatten letztendlich ein sehr leckeres und ausgiebiges Mittagessen mit einer sehr herzlichen Bewirtung.
Und das war mein prägendster Eindruck von Bethlehem: Die Leute waren so unglaublich freundlich. Deshalb verbinde ich mit dem Tag dort ein durchweg positives Gefühl und empfehle jedem, mindestens einen Tag seiner Israel-Reise in Bethlehem zu verbringen.

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