Samstag, 14. Juni 2014

Zion - Ein Ort der Gegensätze



"Jerusalem - eine Stadt mit der man einfach nicht zu Rande kommt!" 

Im arabischen Markt
Diese Aussage würden wohl viele Kenner der Stadt unterschreiben. Auch mir ging es nach der Israel-Fahrt 2012 so. Jerusalem war für mich aufregend, unübersichtlich, voll - zu voll - an Geschichte, Religion und Leben. Es war wie ein orientalischer Teppich aus vielen verschiedenen Farben und je länger ich versuchte ihn zu betrachten, desto verworrener erschienen mir die einzelnen Fäden. Immer wieder kann man etwas Neues entdecken oder etwas bereits Bekanntes erscheint in einem neuen Licht. An nicht nur einer Stelle gibt es Spannungen und Gegensätze, die aufeinander prallen. Das macht die Stadt für mich so faszinierend. Man kann sie nicht mit wenigen Worten beschreiben. Aber manchmal spüre ich auch Verzweiflung, wenn ich von Spukattacken auf christliche Mönche und zerstörten Friedhöfen höre, wenn ich das Nebeneinander und gegenseitige Ignorieren der Einwohner von Jerusalem spüre. 

 
Der Zion, obenauf die Kirche der dt. Benediktiner



Ein Ort in Jerusalem spiegelt das Mit-, Neben- und Gegeneinander meiner Meinung nach besonders wider: Der christliche Zion.


Schon der Name "Har Zion" (Berg Zion) schillert. Zu Beginn war damit der Jerusalemer Tempel gemeint. In manchen Texten ist es ein Synonym  für Jerusalem, in anderen für ganz Juda. Mit der christlichen Präsenz in Jerusalem wanderte die Bezeichnung vom Tempelberg (heute: Haram) auf einen Hügel südwestlich der heutigen Altstadtmauer. Heute ist Mount Zion die offizielle Adresse einer deutschen Benediktinerabtei, des Abendmahlsaales und etlicher jüdischer Toraschulen sowie des Davidgrabes.



Die Häuser und Gebetsorte stehen hier dicht an dicht. Es ist unmöglich den anderen nicht wahrzunehmen. Jeden Samstagabend wird am Davidsgrab das Schabbatende mit lauter Musik gefeiert. Zum Stundengebet läuten die Kirchenglocken der Benediktiner und Franziskaner. An die muslimischen Araber, die auf dem Hügel bis 1948 gelebt haben, erinnert der muslimische Friedhof. Von 1948 bis 1967 verlief die Stadtgrenze entlang der Altstadtmauer. Der Zion ist ein politikträchtiger Ort, geprägt von der Sehnsucht nach der Klagemauer und dem Streit um Jerusalem.



Der Abendmahlsaal
Aber der Berg ist auch voller Geschichte: Er hat verschiedene christliche Kirchen kommen und gehen sehen und noch mehr Pilger, die alle hier her kommen um im sog. Abendmahlsaal - ein kreuzfahrerzeitlicher Raum im ersten Stock - den Geschehnissen vor der Kreuzigung und an Pfingsten zu gedenken. Er ist Pflicht für jede Touristengruppe fast so wie die Grabeskirche und auch ähnlich umkämpft. Deshalb untersteht dieser Erinnerungsort heute dem Religionsministerium und es dürfen nur im Ausnahmefall darin Gottesdienste gefeiert werden. 





Aber der Zion ist nicht nur ein Ort der alten Steine und der Erinnerung, er ist auch ein Ort des Studiums. In vielen kleinen Jeshiven studieren orthodoxe Juden Tora und Talmud. Und gleich nebenan im Beit Josef leben 20 kath. und ev. Theologiestudenten, die Land, Leute und die Wurzeln ihres Glaubens besser kennenlernen wollen.  

Blick durch die enge Gasse auf die Kirche der deutschen Benediktiner




Am Zion
Hier kann man also wirklich vielen verschiedenen Menschen begegnen: dem jüdischen Rabbiner und dem deutschen Mönch, jüdischen Jugendlichen aus Amerika und christlichen Pilgergruppen aus Afrika, säkularen Soldaten und orthodoxen Nonnen. Es kann ein Ort der Begegnung sein, einer respektvollen Nachbarschaft, aber genauso werden die Gegensätze hier besonders spürbar. An manchen Stellen trennt die Menschen nur eine dünne Mauer, aber Welten in den Köpfen.



Schwirrt es jetzt auch in Deinem Kopf? In Meinem damals auf jeden Fall. Passender Weise haben einige Freunde und ich uns an unserem ersten Abend in Jerusalem ausgerechnet auf dem Zion verlaufen.

Am Tag der Abreise fühlte ich mich wie erschlagen von den zahlreichen Eindrücken. Der "Teppich Jerusalem" erschien mir wie ein undurchdringbares Garnknäuel. Ich habe mich auf die Heimkehr gefreut und dachte nicht an eine baldige Wiederkehr.



Ein halbes Jahr später sieht es ganz anders aus. Irgendetwas zieht mich zurück in die Stadt, in das Land der Gegensätze. Ich möchte den Geheimnissen auf den Grund gehen. Ich möchte die Fäden ein wenig ordnen und die Pracht des orientalischen Teppichs Jerusalem bewundern. Deshalb bewerbe ich mich für das Theologische Studienjahr in Jerusalem - und für 8 Monate wird meine Adresse lauten: Mount Zion, 91000 Jerusalem 

Martina Edenhofer