Dienstag, 30. Oktober 2012

Zeit, um zu rekapitulieren


Erlebnisse kommen und gehen. Bisweilen werden sie zu wirklichen Erfahrungen. Aber nur selten verwandeln sie sich in wertvolle Erinnerungen. Für mich persönlich stellen einige Momente unserer Israel-Exkursion im März dieses Jahres eine solche Form der Erinnerungen dar. Sie sind Erinnerungen an eine Zeit, die mir – obgleich mehr als ein halbes Jahr danach – noch immer klar in Gedächtnis verblieben sind.

Gerade heute wurde ich mir dessen erneut bewusst, als ich während der Vorlesung „Storia della Giudea al tempo di Gesù“ einmal mehr verstand, als wie bereichernd und gewinnbringend unsere „Reise des Jahres“ retrospektiv angesehen werden darf! In der Vorlesung heute wurden indes verschiedenste Städte Israels zur Zeit Jesu beleuchtet. Monoton und öde? Nein! Keineswegs mehr bloße Zahlen und Fakten, keineswegs eine langweilige Lektion, keineswegs das Gefühl, der Minutenzeiger bewege sich bei Betrachtung der Uhrzeit wohl eher in die falsche Richtung! Schließlich bei Masada angelangt, fragte der Professor: „Wer war denn schon einmal dort?“ Nur wenige hoben den Arm, nur wenige hatten ein Blitzen in den Augen. Eben diejenigen, die schon einmal dort gewesen waren, konnten nachvollziehen, was er damit meinte, wenn er von der „außergewöhnlichen Schönheit und Einzigartigkeit Masadas“ sprach. Sein Vortrag war gerade deswegen mitreißend, da ich nachvollziehen konnte, wovon er redete und was er zu sagen beabsichtigte. Warum mir das heute gelang? Ganz einfach! Weil er von geografischen Begebenheiten sprach, die man selbst wahrgenommen hatte. Wir waren vor knapp sechs Monaten an eben jener Stelle gestanden, von der er heute erzählte, sie sei im Jüdischen Krieg als eine der letzten Bastionen des Widerstands gefallen. Wir hatten, wie zwei Jahrtausende zuvor, die brennende Hitze am eigenen Leib verspürt. Wir hatten, wie 2000 Jahre zuvor, den staubigen Geruch, der in der Luft liegt, vernommen. Ja, uns bot sich durch die Exkursion an diesem Tag die Möglichkeit, uns direkt am Ort des Geschehens vorzustellen, wie es wohl gewesen sein musste, von einer römischen Legion mehrere Wochen hindurch belagert worden zu sein; nach einiger Zeit ganz genau abschätzen zu können, dass es keinen Ausweg mehr geben würde. Wir verstanden, warum es kam, wie wir es in den Geschichtsbüchern vorfinden. Aber noch mehr: Wir konnten von jetzt an nachvollziehen,  warum es zu der empfindlichen Niederlage gekommen war, da wir uns selbst in die Lage eingefühlt hatten. Ja, wohl auf keine andere Weise wird Geschichte so lebendig, wie bei der Gelegenheit, die sich uns durch diese Exkursion bot: Das Glück zu haben, die theoretischen Punkte der Lektionen mit den eigenen persönlich gemachten Erfahrungen verknüpfen zu können! Nicht nur deshalb kann ich mit gutem Recht behaupten, dass die Exkursion nach Israel für einen jeden von uns absolut inspirierend war.

Wie gerne erinnere ich mich neben den Erfahrungen, die wir in Masada machen durften, auch an jene in Qumran zurück, wie oft gehen mir die Bilder von Caesarea Maritima, Banyas oder Jericho durch den Kopf. Wie sehr danke ich, dass wir das Glück hatten, mit palästinensischen Studenten an der Universität Bethlehem sprechen zu können. Wie oft denke ich an das Faksimile der berühmten Handschrift des Buches Jesaja und die anderen Handschriften, die in Qumran gefunden wurden. Auch emotional denke ich gerne an die zwölf Tage im Heiligen Land zurück. Besonders die Erinnerung an die Heiligen Messen am Abend in unmittelbarer Nähe zum See Genezareth ist mir noch immer präsent. So schön waren die Gottesdienste, die wir dort in jener Gegend feierten, in welcher gut 2000 Jahre zuvor Jesus seine Jünger berief und welche eine solche Bedeutung für sein erstes Wirken haben sollte. Freilich bin ich mir auch Jerusalems eingedenk, das mit seiner Historie seinen ganz eigenen Charme besitzt. Wir trafen auf Menschen unterschiedlichster Anschauungen und bekamen ein Stück weit mit, wie viele verschiedene Glaubensrichtungen dort neben-, gegen und glücklicherweise ein Großteil von ihnen auch friedlich miteinander leben! Als besonders spannend empfand ich es, einen Einblick in das geschichtliche, politische, kulturelle und verständlicherweise religiöse Verhältnis der abrahamitischen Religionen erhalten zu haben, deren Verflechtungen wohl an keinem anderen Ort auf der Welt als in Jerusalem so deutlich auszumachen sind. Dass man die bereichernden Momente, welcher Art sie auch immer sein mögen, am eigenen Leib zu verspüren vermag, ist wohl das bedeutendste Stück Gepäck, das man in die Heimat zurückbringt und mit dessen Hilfe man mit verändertem Blickwinkel die kommenden Ereignisse betrachtet und reflektiert.

Am Ende der Reise standen wir – eine Gruppe von über 30 Personen, die sich vorher nur partiell kannte – wieder am Flughafen München. Diesmal jedoch mit dem Gefühl der Freude und inneren Zufriedenheit, mit der wir auf die vielen facettenreichen Momente der zurückliegenden Tage blickten. Das Gefühl, das sich am Ende des breit gefächerten Programms der Exkursion bei mir persönlich einstellte, als jeder seinen Koffer erhalten hatte, der Exkursionsmarathon sein Ende finden und jeder wieder in die Welt seines Alltags entlassen werden sollte, war, dass ich mich gar nicht so recht von diesen in den letzten Tagen doch ein gutes Stück weit ans Herz gewachsenen Personen trennen wollte. Wenn man bei der Verabschiedung in die Gesichter der einzelnen geblickt hat, konnte man nicht leugnen, dass es den anderen ebenso erging wie mir. Die Eindrücke aus Israel hatten eben ihre Spuren hinterlassen…

Nicht zuletzt deshalb gilt unser Dank in erster Linie Frau Nassauer, die uns diese so wunderbaren Erfahrungen durch ihren reichen Erfahrungsschatz erst ermöglicht hat. Von Herzen danken wir auch den anderen Lehrenden für ihren Einsatz in diesen ereignisreichen Tagen. Des Weiteren gilt mein Dank gerade auch jenen, die die Durchführung dieser zweifelsohne bereichernden Studienreise, die diesen Titel zurecht trägt, unterstützten, sei es durch ihren geistigen Beitrag, sei es durch das finanzielle Unter-die-Arme-greifen. Schließlich bedanke ich mich selbstverständlich auch bei jedem Einzelnen von euch. Denn ohne jeden Einzelnen wären die Tage gewiss nicht zu dem geworden, was sie noch heute für uns ausmachen: unsagbar wertvolle Momente, an die wir uns alle gewiss noch lange erinnern werden!

Erlebnisse kommen und gehen. Bisweilen werden sie zu wirklichen Erfahrungen. Aber nur selten verwandeln sie sich in wertvolle Erinnerungen. Diese Israel-Exkursion zählt zu einem solch seltenen Moment des Glücks!

Christoph Weber