"Jerusalem - eine Stadt
mit der man einfach nicht zu Rande kommt!"
Im arabischen Markt |
Diese Aussage würden wohl viele
Kenner der Stadt unterschreiben. Auch mir ging es nach der Israel-Fahrt 2012
so. Jerusalem war für mich aufregend, unübersichtlich, voll - zu voll - an
Geschichte, Religion und Leben. Es war wie ein orientalischer Teppich aus
vielen verschiedenen Farben und je länger ich versuchte ihn zu betrachten,
desto verworrener erschienen mir die einzelnen Fäden. Immer wieder kann man
etwas Neues entdecken oder etwas bereits Bekanntes erscheint in einem neuen
Licht. An nicht nur einer Stelle gibt es Spannungen und Gegensätze, die
aufeinander prallen. Das macht die Stadt für mich so faszinierend. Man kann sie
nicht mit wenigen Worten beschreiben. Aber manchmal spüre ich auch Verzweiflung,
wenn ich von Spukattacken auf christliche Mönche und zerstörten Friedhöfen
höre, wenn ich das Nebeneinander und gegenseitige Ignorieren der Einwohner von
Jerusalem spüre.
Ein Ort in Jerusalem spiegelt
das Mit-, Neben- und Gegeneinander meiner Meinung nach besonders wider: Der
christliche Zion.
Schon der Name "Har
Zion" (Berg Zion) schillert. Zu Beginn war damit der Jerusalemer Tempel
gemeint. In manchen Texten ist es ein Synonym
für Jerusalem, in anderen für ganz Juda. Mit der christlichen Präsenz in
Jerusalem wanderte die Bezeichnung vom Tempelberg (heute: Haram) auf einen
Hügel südwestlich der heutigen Altstadtmauer. Heute ist Mount Zion die
offizielle Adresse einer deutschen Benediktinerabtei, des Abendmahlsaales und
etlicher jüdischer Toraschulen sowie des Davidgrabes.
Die Häuser und Gebetsorte
stehen hier dicht an dicht. Es ist unmöglich den anderen nicht wahrzunehmen.
Jeden Samstagabend wird am Davidsgrab das Schabbatende mit lauter Musik
gefeiert. Zum Stundengebet läuten die Kirchenglocken der Benediktiner und
Franziskaner. An die muslimischen Araber, die auf dem Hügel bis 1948 gelebt
haben, erinnert der muslimische Friedhof. Von 1948 bis 1967 verlief die
Stadtgrenze entlang der Altstadtmauer. Der Zion ist ein politikträchtiger Ort,
geprägt von der Sehnsucht nach der Klagemauer und dem Streit um Jerusalem.
Der Abendmahlsaal |
Aber der Berg ist auch voller
Geschichte: Er hat verschiedene christliche Kirchen kommen und gehen sehen und
noch mehr Pilger, die alle hier her kommen um im sog. Abendmahlsaal - ein kreuzfahrerzeitlicher
Raum im ersten Stock - den Geschehnissen vor der Kreuzigung und an Pfingsten zu
gedenken. Er ist Pflicht für jede Touristengruppe fast so wie die Grabeskirche
und auch ähnlich umkämpft. Deshalb untersteht dieser Erinnerungsort heute dem
Religionsministerium und es dürfen nur im Ausnahmefall darin Gottesdienste
gefeiert werden.
Aber der Zion ist nicht nur
ein Ort der alten Steine und der Erinnerung, er ist auch ein Ort des Studiums.
In vielen kleinen Jeshiven studieren orthodoxe Juden Tora und Talmud. Und
gleich nebenan im Beit Josef leben 20 kath. und ev. Theologiestudenten, die
Land, Leute und die Wurzeln ihres Glaubens besser kennenlernen wollen.
Blick durch die enge Gasse auf die Kirche der deutschen Benediktiner |
Am Zion |
Hier kann man also wirklich
vielen verschiedenen Menschen begegnen: dem jüdischen Rabbiner und dem
deutschen Mönch, jüdischen Jugendlichen aus Amerika und christlichen Pilgergruppen
aus Afrika, säkularen Soldaten und orthodoxen Nonnen. Es kann ein Ort der
Begegnung sein, einer respektvollen Nachbarschaft, aber genauso werden die
Gegensätze hier besonders spürbar. An manchen Stellen trennt die Menschen nur
eine dünne Mauer, aber Welten in den Köpfen.
Schwirrt es jetzt auch in Deinem Kopf? In Meinem damals auf jeden Fall. Passender Weise haben einige Freunde
und ich uns an unserem ersten Abend in Jerusalem ausgerechnet auf dem Zion verlaufen.
Am Tag der Abreise fühlte ich mich wie erschlagen von den
zahlreichen Eindrücken. Der "Teppich Jerusalem" erschien mir wie ein
undurchdringbares Garnknäuel. Ich habe mich auf die Heimkehr gefreut und dachte
nicht an eine baldige Wiederkehr.
Ein halbes Jahr später sieht es ganz anders aus.
Irgendetwas zieht mich zurück in die Stadt, in das Land der Gegensätze. Ich
möchte den Geheimnissen auf den Grund gehen. Ich möchte die Fäden ein wenig
ordnen und die Pracht des orientalischen Teppichs Jerusalem bewundern. Deshalb
bewerbe ich mich für das Theologische Studienjahr in Jerusalem - und für 8
Monate wird meine Adresse lauten: Mount Zion, 91000 Jerusalem
Martina Edenhofer